Wenn man von einzelnen Evangelischen in der Reformationszeit (1. Hälfte des 16. Jahrhunderts) absieht, sprechen wir vom Beginn einer ununterbrochenen Geschichte der Evangelischen in Neumarkt St.Veit seit dem Jahr 1840, als sich evangelische Christen wieder am Ort ansiedelten. Sie wurden kirchlich von Reisepredigern aus Landshut versorgt. Gottesdienste und religiöser Unterricht wurden in unregelmäßigen Abständen gehalten. Das erste Abendmahl wurde in St. Veit im Jahre 1849 gefeiert.
Es war die Zeit der Aufklärung. Mit der Revolution in Frankreich und dem Gedanken von Freiheit und Toleranz begann auch zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine neue Zeit für die Evangelischen in Bayern.
Die Evangelischen konnten sich als vollberechtigte Bürger ansiedeln, wo sie wollten. Der Zuzug ging allerdings nur langsam voran. Evangelische Beamte v.a. im Gerichtswesen, Kaufleute und Gewerbetreibende waren die ersten Evangelischen. Die noch von der Gegenreformation und der strikten Trennung der Konfessionen geprägte, einheimische Bevölkerung blieb lange Zeit bei ihren Vorurteilen und verhinderte lange Zeit die Einrichtung eines evangelischen Betsaales in einem öffentlichen Gebäude. Jahre später konnten sich die Protestanten die Bereitstellung eines Saales im Amtsgericht als Betsaal regelrecht erstreiten.
Heute scheint dies alles vergessen. Normalität ist im Miteinander der Konfessionen eingekehrt, d.h. die beiden Kirchen begegnen sich freundschaftlich und kooperativ. Ökumene wird groß geschrieben.
Was damals war – wir schütteln heute nur noch ungläubig den Kopf.
Und dennoch: Diese Vergangenheit prägt vielleicht unbewusst bis heute. Die Neumarkter Evangelischen sind ein selbstbewusster und streitbarer “Außenposten” der Gemeinde Mühldorf und später der Gemeinde Töging geworden.
Die Geschichte der Evangelischen in Neumarkt nahm ihre Wende nach dem Ende des 2. Weltkrieges. Flüchtlinge aus dem Osten strömten nach Bayern. Neben der sozialen Not der Gemeindemitglieder war die religiöse Versorgung ein zentrales Thema: Es gab keine Kirche, keinen geeigneten Versammlungsort für die heimatlosen Flüchtlinge, die meist evangelisch waren.
Um dem überall spürbaren Mangel an Gotteshäusern zu begegnen, stellten der Weltrat der Kirchen, der Lutherische Weltbund und weitere Organisationen Geldmittel zur Verfügung, mit denen das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen in Deutschland behelfsmäßige Bauten als Notkirchen beschaffen sollte.
Das deutsche Hilfswerk sah aber in den schmucklosen und funktionalen Barackenbauten keine angemessene Lösung für das Problem. Es bat den renommierten Architekten Otto Bartning um einen Notkirchenentwurf. Der sollte sowohl den materiellen und finanziellen Möglichkeiten der Zeit als auch den theologischen und ästhetischen Ansprüchen an ein Kirchengebäude gerecht werden.
Bartning übernahm den Auftrag und entwickelte als Leiter der Bauabteilung des Hilfswerkes ein Typenprogramm, das die Vorteile serienmäßiger Produktion mit der Verwendung örtlicher Baumaterialien verband. Die tragende Konstruktion der Kirchengebäude bestand aus fertig gelieferten Holzbauteilen meist aus Skandinavien, die in ein bis drei Wochen montiert waren, während die Grundmauern, die Bodenplatten und das nicht tragende Außenmauerwerk zumeist aus den am Ort vorhandenen Trümmern gewonnen wurde. Die materielle Umsetzung war aber nicht der einzige Aspekt in Bartnings Konzeption. Eine Notkirche braucht eine “Notgemeinde”, was für Bartning nicht gleichbedeutend war mit “Gemeinde in Not”. Und der Architekt entwickelte aus diesem Ansatz Bauformen, in denen eine Frömmigkeit ihren Ausdruck fand, die von den Erfahrungen des Krieges, der Schuld und der Notgemeinschaft einerseits und eines neuen, bescheidenen, aber hoffnungsvollen Aufbruchs andererseits geprägt war.
1951 beschloß der damals zuständige Kirchenvorstand in Mühldorf, in Neumarkt eine Diasporakirche zu errichten. Im Februar 1952 gründeten die Neumarkter eine Tochterkirchengemeinde mit eigenem Kirchenvorstand. Bereits im Sommer begannen sie mit dem Bau der Kirche, die am 21.9.1952 eingeweiht wurde.
Die Notkirche charakterisiert eine Zeit des Umbruchs und des Übergangs. Viele dieser Notkirchen wurden in wirtschaftlich besseren Zeiten umgewidmet oder durch Neubauten ersetzt.
Die Friedenskirche in Neumarkt ist noch eine der wenigen BartningKirchen, die fast im Originalzustand ununterbrochen als Kirche bis heute genutzt wird. Ein gebäudliches Kleinod und Denkmal einer ganz wichtigen Zeit der Stadt Neumarkt – St.Veit.
Johann-Albrecht Klüter
(Auszug aus dem Festvortrag anlässlich des 55. Jubiläums der Freidenskirche)